Literarische Welten spielerisch entdecken

Kaktus, Koala und Co.: Im Rahmen ihres Projektstudiums entwickelten die Studierenden einen eigenen Wortschatztest mit 20 Bildern, mit deren Hilfe sie die Sprachentwicklung von Kindern verfolgen können. Foto: Matthias Piekacz

In Bibliotheken und Kindertageseinrichtungen hat das Lesen eine lange Tradition. Richtig umgesetzt, kann es nicht nur die kindliche Fantasie anregen, sondern auch den Wortschatz fördern. Über ein Konzept, bei dem vor allem die Kleinen etwas zu sagen haben.

Text: Katharina Remiorz

In den Weiten der Savanne Afrikas lebt unter einem gigantischen, schroffen Felsen ein zierliches Mäuschen. Immerzu würde es von den großen Tieren übersehen werden, jammert die Maus. Ein Löwe müsste man sein – wer so laut brüllen kann, ist fraglos der Chef und würde nie geschubst oder getreten werden, denkt sie sich und fasst einen tapferen Entschluss: Der Löwe soll ihr das Brüllen beibringen.

Für das drei bis fünf Jahre alte Publikum ist die Reise der kleinen Maus ein wahres Erlebnis. Angeregt diskutieren die Kinder über Rachel Brights Bilderbuch „Der Löwe in dir“. Die Bibliothekarin liest und ermuntert die Gruppe zum Erzählen: Wohin seid ihr schon einmal gereist? Was habt ihr dort erlebt? Welche Tiere kennt ihr aus dem Zoo und konnte der Löwe auch so laut brüllen?

Sprache früh fördern

Die Gespräche über die Geschichte und die eigenen persönlichen Erfahrungen machen den Kindern nicht nur Spaß, sondern fördern ganz nebenbei auch ihre Sprachentwicklung, weiß Prof. Dr. Lisa Schröder vom Fachbereich Angewandte Humanwissenschaften. Sprache sei ein sehr wichtiger Bereich in der Frühen Bildung, die eine angemessene Aufmerksamkeit erhalten muss.

Zusammen mit 15 Studierenden der Kindheitspädagogik, in Kooperation mit der Stadtbibliothek Magdeburg sowie mit Unterstützung des Kompetenzzentrums Frühe Bildung entwickelte sie eine Fortbildung zum sogenannten dialogischen Lesen. Sieben Bibliothekarinnen der Stadtbibliothek sowie sieben pädagogische Fachkräfte der Kita „Abenteuerland“ der Kita-Gesellschaft Magdeburg und der Stendaler Kita „Columbus“ des Deutschen Roten Kreuzes nahmen an den Workshops teil. „Beim dialogischen Lesen wird die Vorlesesituation durch offene Fragen und das Bezugnehmen auf die Lebenswelt des Kindes interaktiv gestaltet. Das bedeutet, dass zwischen Kindern und Erwachsenen das Gespräch im Mittelpunkt steht, nicht das Vorlesen an sich“, erklärt die Professorin, die seit 2016 an der Hochschule lehrt und seitdem verschiedene praxisorientierte Studienprojekte umsetzt.

Von A wie Antilope

Nach der Schulung begleiteten die Studierenden sechs Monate lang die unkonventionellen Lesestunden und ermittelten mithilfe eines Bildbenennungstests den Wortschatz von 44 Kindern – vor und nach der Durchführungsphase. „Der standardisierte Test besteht aus insgesamt 75 Bildern, auf denen beispielsweise ein Schaukelpferd und ein Pinsel zu sehen sind. Zusätzlich haben wir einen eigenen Test mit 20 etwas anspruchsvolleren Wörtern wie Koala, Heißluftballon oder Kaktus entwickelt, der sich auf die drei Bücher bezieht, die die Bibliothekarinnen und Pädagoginnen mit den Kindern gelesen haben“, veranschaulicht Studentin Zoe Höger. Schwierigkeiten bereiteten den Kindern den Beobachtungen zufolge vor allem Worte wie Mango, Antilope, Savanne oder Kaktus.

Besonders wichtig beim dialogischen Lesen sei die Auswahl der Literatur, ergänzt Kommilitonin Michaela Völzke: „Die Bücher sollten wenig Text und viele Bilder enthalten und sich an den Interessen der Kinder orientieren. Außerdem spielt auch die Größe der Gruppe eine entscheidende Rolle, um alle Kinder gleichermaßen einbeziehen zu können.“ Nach ihrem Studium möchte Michaela Völzke eventuell in der Erwachsenenbildung arbeiten. Im Projekt kümmerte sie sich vor allem um die didaktische Umsetzung und weiß den kreativen Freiraum, den Prof. Dr. Lisa Schröder den Studierenden einräumte, zu schätzen: „Wir agieren mit ihr auf einer nahezu gleichberechtigten Ebene, dürfen unsere Vorschläge und Meinungen einbringen. Das ist nicht selbstverständlich.“

Auch soziale Kompetenzen stärken

Prof. Dr. Lisa Schröder zieht Bilanz: „Es hat sich gezeigt, dass diese Form des Lesens im positiven Zusammenhang mit der kindlichen Sprachentwicklung und dem späteren Schriftspracherwerb steht.“ Die Methode könnte vor allem Kindern mit besonderem Förderbedarf oder wenig Erfahrung mit Literatur dabei helfen, Sprachschwierigkeiten abzubauen und ihren Wortschatz zu erweitern. Auch beim Erlernen einer Zweitsprache kann diese spielerische Technik Wirkung zeigen. Gleichzeitig werden soziale Kompetenzen gefördert, denn „über die Geschichte des Buches nachzudenken und darüber zu sprechen, stärkt die Fantasie und das Selbstbewusstsein des Kindes“, so Zoe Höger. Kinder sollten also durchaus einmal öfter etwas zu sagen haben.

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