Kinder über Gott und die Welt

Michael Siegmund hat Angewandte Kindheitswissenschaften in Stendal studiert. Foto: privat

Aus treffpunkt campus Nr. 80, 05/2014

Michael Siegmund schätzte an seinem Studium vor allem die Vielfältigkeit und das familiäre Gefühl. Heute arbeitet er in der Altmark als Vertrauenslehrer, wo er mit Kindern über Gott, Liebe und die Welt philosophiert. Sein wissenschaftlichen Herz hängt zudem an der von ihm mitgegründeten Akademie für Permation.

Interview: Nancy Wöhler

Was hat Sie motiviert Angewandte Kindheitswissenschaften in Stendal zu studieren?
Eigentlich wollte ich Lehrer werden und habe vorher in Halle studiert. Schnell habe ich gemerkt, dass der Lehrerberuf relativ unflexibel ist und ich schwer in andere Richtungen gehen kann. Außerdem wollte ich ein Studium, was persönlicher ist und nicht an einer Massenuni stattfindet. Zwei konkrete Dinge haben mich motiviert in Stendal zu studieren: Das familiäre Gefühl und die Flexibilität im Studium, die ich mir gewünscht hatte.

Wie ging es für Sie nach dem Studium weiter?
Ich habe an der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg meinen Master-Abschluss in Bildungssystemdesign gemacht. Danach stand fest: Ich brauchte einen „Brotberuf “. In meiner Branche gibt es nicht die eine Stelle, und außerdem wollte ich unbedingt in meiner Heimat, der Altmark, bei Familie und Freunden bleiben. So kam es, dass ich mich auf eine Stelle an meiner alten Schule, dem Privatgymnasium Stendal/Tangermünde bewarb und auch angenommen wurde. Ich bin dort so eine Art Vertrauenslehrer und pendle zwischen den beiden Gymnasien in Stendal und Tangermünde.

Wie sieht Ihr Arbeitsalltag als Vertrauenslehrer aus?
In erster Linie kommen die Kinder zu mir, wenn sie Probleme haben. Dann sprechen wir darüber und versuchen gemeinsam, eine Lösung zu finden. Weiterhin gehe ich in die fünften und sechsten Klassen und philosophiere mit den Kindern oder biete Projekte an. Das mache ich nebenbei auch in einem Kindergarten. Ich bin also auf verschiedenen „Baustellen“ unterwegs. Und das macht mir eigentlich am meisten Spaß. Einerseits die praktische Arbeit mit den Kindern, andererseits das Nachdenken über das Bildungssystem und der Austausch mit anderen Menschen.

Wie kann man sich das Philosophieren mit Kindern vorstellen?
Es ist nicht kompliziert, nicht abstrakt und keine Philosophiegeschichte über Nietzsche und Sokrates. In erster Linie soll es den Kindern Spaß machen. Wir besprechen ganz praktische Fragen: Gibt es einen Gott? Was ist Liebe? Je nach Altersstufe bekommt man unterschiedliche Antworten. Das Philosophieren mit Kindern ist relativ neu und kommt ursprünglich aus Amerika. Es geht im Grunde darum, Kinder in ihren Gedanken ernst zu nehmen, mit ihnen offen und dynamisch über die Welt nachzudenken. Denn auch sie zweifeln, wundern sich und staunen.

Gab es eine Antwort, die Sie besonders überrascht hat?
Ein fünfjähriges Kind hat mal auf die Frage, ab wann man erwachsen ist, geantwortet: „Man ist dann erwachsen, wenn man keinen Spaß mehr hat.“ Das hat mich sehr nachdenklich gestimmt, da sonst auf diese Frage Antworten wie „Wenn man einen Bart hat“ folgen.

Wie hat Sie das Studium auf Ihre jetzige Tätigkeit vorbereitet?
Das Studium hat mich sehr gut vorbereitet, denn es ist multiperspektivisch ausgerichtet. Es gab fünf bis sechs Schwerpunkte, von Gesundheit bis Politik, die den Blick für unterschiedliche Perspektiven auf Kinder schärfen. Das ist bei uns Kindheitswissenschaftlern enorm wichtig, da wir in vielfältigen Rollen einsetzbar sind.

Neben Ihrer Tätigkeit an der Schule beschäftigen Sie sich mit dem Thema Permation. Worum geht es?
Permation ist eine Idee, die es seit ca. zwei Jahren gibt. Permation ergibt sich aus der Beobachtung, dass das Leben permanent im Fluss ist und dass das, was Menschen tun, nicht vorhersehbar ist und von unendlich vielen Faktoren beeinflusst wird. Um es auf den Punkt zu bringen: Permation ist das, was immerzu in und mit einem Menschen geschieht. Um diese Idee zu erforschen und zu beleben, haben Hartmut Wildermuth, mein ehemaliger Lehrer und guter Freund, die Akademie für Permation gegründet. Diese existiert nicht als Gebäude, sondern ideell und ist eine Art Bühne, um über das Thema nachzudenken und mit anderen in Austausch zu treten. Dies geschieht über unsere Webseite, Facebook und per E-Mail.

Wer soll damit angesprochen werden?
Vorwiegend Menschen, die mit Kindern und Jugendlichen zu tun haben, aber auch alle Interessierten. Uns geht es darum Kontakte zu knüpfen. Eigentlich ist das mein Hobby, das erfüllt mich – daran hängt mein wissenschaftliches Herzblut.

Sie fühlen sich in unterschiedlichen Bereichen zu Hause. Wo soll es beruflich noch hingehen?
Ich möchte mir den wissenschaftlichen Weg offen halten und strebe im Moment meine Promotion an. Mein Herzenswunsch ist es, die Arbeit sowohl in der Praxis als auch in der Theorie beizubehalten. Ich möchte weiter in der Schule arbeiten, vielleicht auch in die Lehre gehen, aber auch forschen.

Was würden Sie jetzigen Studierenden Ihrer Fachrichtung empfehlen?
Entspannung! In meinem Jahrgang, in dem davor und heute wird es auch nicht anders sein, haben die Studierenden Angst davor keinen Job zu finden. Es gibt im Bereich Kindheitswissenschaften eben nicht die eine Stelle, den konkreten Job. Man sollte ganz entspannt einen Weg für sich suchen. Dafür hat man in Stendal auf jeden Fall Verbündete und Unterstützer. Hier gibt es Menschen, die an einen glauben und fachlich fördern.

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