1973: Student Haentzsch versorgt Leipziger mit West-Rundfunk

Die Mode ist gegangen, die Gesichtszüge sind geblieben: Prof. Dr.-Ing. Dieter Haentzsch (m.) in den Siebzigern bei einer Studentenfeier. Foto: privat

Aus treffpunkt campus Nr. 87, 06/2015

Für Elektrizität begeistert Prof. Dr.-Ing. Dieter Haentzsch mit charmanter Rhetorik und unverkennbarem Dialekt. Der 64-Jährige arbeitet seit 1995 am heutigen Institut für Elektrotechnik der Hochschule Magdeburg-Stendal und hat dessen Laborhalle mitkonzipiert. Nach seiner Promotion 1983 war der Leipziger mehrere Jahre in Mosambik tätig und wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Technischen Hochschule der Messestadt. Wie alles begann, hat er treffpunkt campus berichtet.

Text: Aufgeschrieben von Nico Pfeil

Studieren wollte ich etwas Technisches. Da gab es keinen Weg dran vorbei. Dass ich aber irgendwann Professor sein würde und hier in Magdeburg ein Hochspannungslabor mitaufbauen könnte, hätte ich mir zu Studienbeginn nicht erträumt. Rückblickend ist das wie ein Sechser im Lotto. Los ging alles mit einer Ausbildung zum Schlosser, wie es in meiner Familie üblich war. Allerdings war Bildung in meinem Elternhaus verpönt – heute würde man sagen „bildungsfernes Milieu“. Schon dass ich Abitur hatte, war etwas Besonderes. Das spielte im Studium aber keine Rolle. Die DDR bot bildungstechnisch viele Möglichkeiten und man orientierte sich eher an den Schicksalsgefährten.

1973 habe ich in Leipzig angefange Elektroanlagentechnik zu studieren. Was das ist? Alles was zwischen Steckdose und Hochspannungsmast abläuft. Mit diesem Fach und meiner Ausbildung zum Schlosser ist man ein kleines Genie. Da haut einen keiner so schnell um. Ich kann zum Beispiel nahezu alle meine Laborversuche auch selbst durchführen. Aber das nur am Rande. Jedenfalls hatte ich 1973, zu Studienbeginn, schon eine kleine Familie und auch meine zweite Tochter war im Anmarsch.

Familie und Studium waren für mich wie zwei Pole, die sich ausglichen. Wir haben im Leipziger Süden, in Dölitz, gewohnt. Wegen des Wohnungsmangels wurden viele Altbauwohnungen geteilt. Wir wohnten in dem kleineren Teil einer solchen Wohnung – anfangs zu dritt, dann zu viert. Es war eng. Dazu kamen die langen Wege durch die Stadt. Die Kita war im Norden, die Hochschule im Zentrum. Da verbrachte ich viel Zeit in der Bahn, was sich auch in meiner Ernährung zeigte. Die schnelle Boulette oder Bockwurst waren Normalität. Allerdings bin ich sowieso eher der McDonalds-Typ und esse lieber spontan als nach Tageszeit.

Meine damalige Frau hat als Fernmeldemechanikerin gearbeitet. Wir hatten zusätzlich einen Familienkredit und ich zeitweise ein Leistungsstipendium. Außerdem hatte ich noch diverse Nebenjobs. Beispielsweise erreichten mich immer wieder Anfragen durch den Buschfunk, ob ich bei Bekannten von Bekannten Antennenanlagen zum Empfang des West-Senders in Hof einbauen könnte. Klasse war auch die Arbeit als Disko-Techniker und später als Diskotheker selbst. Eine meiner Lieblingsbands war „The Searchers“.

Was die Lehrveranstaltungen betrifft, ging es damals deutlich intensiver zu. Was wir an Selbststudium ableisteten, schaffen heute nur noch zwei, drei Leuchttürme pro Seminar. Ich sehe mich noch nächtelang vor Büchern sitzend Gleichungen zusammenstellen. Aber diese Anstrengung war normal, jeder hat gelitten. Und irgendwie hat mich diese Arbeit auch angetrieben. Ich meine, im Technischen hast Du den rechten Winkel, die gerade Linie, die Zahl – sozusagen die quantifizierbare, berechenbare Wahrheit, die jeder Philosophie und jedem System trotzt. Die Strapazen dahin muss man aushalten.

Natürlich wurden wir auch ideologisch erzogen. Wir nannten das „Rote Woche“: sozialistische Grundlagenliteratur, paramilitärische Begleitausbildung, Erste-Hilfe-Kurse, in den Boden eingraben und so fort. Für mich war das mehr Pflichterfüllung als Überzeugung. Dabei waren Respekt und Ernsthaftigkeit in anderen Bereichen sehr präsent. Beispielsweise im Umgang mit unseren Professoren. Die waren Autoritäten – qua Fach, nicht per Stellung. Persönlicher war hingegen der Kontakt zu den wissenschaftlichen Mitarbeitern, die in der Regel nur wenige Jahre älter waren als man selbst. Vielleicht resultiert die heutige Nähe zu den Dozenten daraus, dass dieser akademische Mittelbau an Hochschulen angewandter Wissenschaften häufig fehlt.

Was im Studium zu kurz kam, waren die Soft Skills. Ich meine das schriftliche Arbeiten. Meine verbale, flapsige Lockerheit hatte ich im Schriftlichen nämlich nicht. Ich musste viele Freunde zu Rate ziehen, um herauszufinden, ob das, was ich schrieb, überhaupt verständlich war.

Insgesamt war das Studium geschlossener als heute. Es gab kaum Wahlfächer, alles griff logisch ineinander. Ich fand das gut und glaube, das Ergebnis „Absolvent“ war daher von einer sehr hohen Qualität. Individualität kann halt manchmal auch bremsen.

Mehr Erinnerungen an die Studienzeit in „Lehrende und ihre Studienanfänge“

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