Ein Student zwischen 80.000 Individuen

Matthias Gaertig studiert Industrial Design und entdeckte 2016 seine Leidenschaft fürs Imkern. Die Arbeit mit den Bienen inspiriert ihn auch bei neuen Designprojekten. Foto: Katharina Remiorz

Aus treffpunkt campus Nr. 94, 02/2017

Perfektionist und Weltverbesserer – so könnte man Industrial-Design-Student Matthias Gaertig beschreiben. Vor allem ist er aber eines: Naturfreund. Vor einem Jahr ist der 31-Jährige auf die Biene gekommen. Genau genommen auf 80.000 Bienen. So viele Individuen leben im Sommer in etwa in dem Volk, dem er sich einmal in der Woche widmet.

Die Sonne steht hoch über dem Feld nahe Dahlenwarsleben. Der Raps ist bereits verblüht. In seinem Schatten summen und schwirren Tausende Bienen auf der Suche nach einer neuen Nahrungsquelle. Vor allem Klee und Lindenblüten fliegen sie jetzt an. In einem weißen Anzug gehüllt und das Gesicht durch einen Schleier bedeckt kniet Matthias Gaertig vor einigen Holzkästen. Der 31-Jährige studiert an der Hochschule Magdeburg-Stendal Industrial Design und steht kurz vor seinem Abschluss. Vor einem Jahr entdeckte er als Ausgleich zum Studienalltag seine Leidenschaft fürs Imkern.

Aus einer der Holzkästen, Beuten genannt, zieht er vorsichtig ein zur Hälfte mit Bienen bedecktes, ausgebautes Rähmchen. 13 Stück davon befinden sich in der 50 Zentimeter breiten Großraumbeute, in der Matthias zur Beruhigung der Bienen hin und wieder angenehm duftenden Weidenrauch verbreitet. „In dieser Wabe sind Stifte, also von der Königin gelegte Eier, zu sehen”, erzählt er, während er das Rähmchen gegen das Licht hält und überprüft. Wenn alles planmäßig verläuft, werden hieraus in 21 Tagen Arbeiterinnen schlüpfen. Bis zu 2.000 Bienen kommen so täglich zum Stock dazu.

Seit August 2016 ist Matthias für sein kleines Volk mit etwa 80.000 Individuen verantwortlich. Das Handwerk dafür erlernte er bei einem mehrwöchigen Neuimkerkurs in der Schlossimkerei Hundisburg. Auf die Frage, welche Eigenschaften ein Imker mitbringen sollte, antwortet er: „Ich glaube, es muss eine gewisse Naturliebe vorhanden sein.” Das Besondere am Imkern ist die wechselseitige Beziehung zu den Bienen: „Die Tiere sind sehr sensibel, das heißt, man muss sehr kontrolliert mit ihnen umgehen. Sobald man hektisch wird, überträgt sich die Stimmung auf die Tiere.” Stechfreudige Bienen sind dann nahezu vorprogrammiert. Er selbst ist in diesem Jahr bereits zweimal gestochen worden – eine recht geringe Quote, wenn man bedenkt, mit wie vielen Bienen er es regelmäßig zu tun hat.

Einmal in der Woche kontrolliert Matthias die Aktivitäten seines Volkes. Häufiger sollte man die kleinen Lebewesen nicht stören. „Aus der Perspektive der Bienen kommt ständig ein Besucher vorbei, der ihnen das Dach von der Decke reißt und die Wohnung durchwühlt. Wer möchte diesen Stress schon täglich haben?”, lacht er. Die Arbeit mit den Bienen zeigt sich auch in seinen Entwürfen als angehender Designer. Für die Kinderstadt Elberado entwickelte er beispielsweise ein neues Häuserdesign ganz im Stil der sechseckigen Zellen, die nicht nur sehr stabil, sondern auch effizient gebaut sind. „Bienen erbringen eine sehr beeindruckende architektonische Leistung. Das Hexagon wirkt zudem natürlich, spricht aber auch eine technische Komponente an”, erzählt er über die Werke der kleinen Baukünstler.

Seitdem sich Matthias mit Bienen beschäftigt, hat sich seine Sicht auf die Umwelt, Politik und Landwirtschaft gewandelt. Auf die Frage, womit das Bienensterben zusammenhängt, findet er eine klare Antwort: „Mit den Menschen.” Vor allem das Sprühen von Pestiziden und die zunehmende Umweltverschmutzung würden zum Sterben der Bienen beitragen. Dabei erbringen die fleißigen Tiere eine wichtige Bestäubungsleistung, ohne die wir im Herbst keine Äpfel und Kirschen genießen könnten.

Ob der Hochschulcampus ein geeigneter Lebensraum wäre, wagt Matthias nicht zu beantworten – dafür fehle ihm noch die Erfahrung. „Fakt ist, dass Bienen zum Überleben Pollen, Nektar und eine saubere Wasserquelle in der Umgebung benötigen. Wir haben viele Obstbäume, Kastanien und Linden sowie den Elbauenpark in der Nähe – das ist eine gute Grundlage.” Es müsse jedoch immer jemand da sein, um nach dem Rechten zu sehen. „Bienen sind wie wir Menschen, sie müssen beschäftigt werden, sonst kommen sie auf dumme Gedanken”, lacht er wieder und verschließt den Deckel seiner Beute, zu der er bald wieder zurückkehren wird.

Was unsere Studierenden sonst noch so treiben, liest du in „Und neben dem Studium?“.

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