Die Suche nach gerechter Sprache

Sprache schafft Bilder und fördert, falsch angewandt, Diskriminierung, sind sich Melissa Michna und Katja Schulz sicher. Beide wollen für Gleichberechtigung sensibilisieren. Foto: Matthias Piekacz

Aus treffpunkt campus Nr. 104, 04/2019

Der Asterisk: Kaum ein Satzzeichen spaltet die deutsche Gesellschaft mehr, als das Gendersternchen. Aber müssen wir eigentlich gendern? Ist Deutsch per se eine genderunsensible Sprache? Und wie gendert Mensch richtig? Viele Fragen. Vielen Meinungen. Eine Suche.

Text: Robert Gryczke

Für diesen Text habe ich mich unter anderem mit Melissa Michna und Katja Schulz unterhalten. Beide studieren an der Hochschule Magdeburg-Stendal, bekleiden hochschulpolitische Ämter und setzen sich für die Belange der Gleichberechtigung ein. Parallel dazu habe ich in sozialen Netzwerken nach Meinungen zu diesem Thema gefragt und zahlreiche Antworten bekommen, die wir hier ebenfalls abbilden.

Gendern – die Sache mit der Gleichberechtigung
ROBERT: „Ich frag jetzt mal bewusst überspitzt: Warum gendern wir? Bis vor ein paar Jahren hat die Sprache auch wunderbar so funktioniert. Also: Warum gendern wir jetzt?“
MELISSA (lacht; überlegt kurz): „Um Diskriminierung abzubauen.“
KATJA: „Bevor ich Melissa kennengelernt habe, war mir das egal. Weil das bei uns [Master-Studiengang Bauingenieurwesen; Anm. d. Red.] keine Rolle spielt. Das sind die Professoren, das sind die Studenten, das sind die Männer, die Jungs. Weil wir sehr viel darüber geredet haben, ist mir dann auch aufgefallen: Ja, eigentlich spricht mich direkt so gut wie niemand an. Das schafft auch Bilder. Wenn Du jemanden fragst ‚Wie stellst Du Dir einen Bauleiter vor?‘, dann denkst Du nicht an eine Frau, die mit einem Helm auf der Baustelle steht.“

In einer Studie von 2018 stellte das Bundesinstitut für Berufsbildung fest: Der Anteil der weiblichen Azubis in sogenannten Männerberufen steigt seit einigen Jahren um 0,2 Prozent pro Jahr. Das ist noch kein Bruch mit etablierten Rollenmustern, aber zumindest ein Trend – wenn auch ein vorsichtiger. Die Frage, ob Gendern diese Entwicklung beeinflusst oder beeinflussen könnte, muss an dieser Stelle leider unbeantwortet bleiben. Zum Thema Gleichberechtigung durch Gendern ist es zumindest erwähnenswert, dass die Partei DIE LINKE seit September 2019 ihren Webauftritt ‚entgendert‘ hat. Zitat: „Im Interesse des flüssigen Lesens und der Maschinenlesbarkeit ist auf eine ‚gegenderte‘ Schreibweise zu verzichten. Es ist also stets von Nutzerinnen und Nutzern zu schreiben.“

„Kann jemensch das Fenster aufmachen?“
Einige Möglichkeiten zum Gendern drängen sich in Texten regelrecht auf. Wir kennen LeserInnen, Leser/innen,
Leser_innen und meinen damit weibliche und männliche. Wir kennen Leser*innen und meinen alle. Heimtückischer sind allerdings Pronomina, z. B. „man“ oder „jemand“ in Verbindung mit Pronomen, die bisher zwangsläufig männlich sind. Ein Beispiel: „Jemand hat seine Unterlagen liegen lassen.“ Eine simple Lösung wäre schon „seine/ihre Unterlagen“. Gesprochen könnte das allerdings etwas sperrig wirken. In diesem Fall wäre eine aktive Formulierung besser: „Weiß jemand, wem diese Unterlagen gehören?“ Genderneutrale Pronomen wie jemand, niemand, wer oder alle sind eigentlich sehr gut dafür geeignet, geschlechtsspezifische
Personenbezeichnungen zu ersetzen.

ROBERT: „Wenn ich bei einer Party sitze und frage: ‚Kann einer mal bitte das Fenster aufmachen?‘ Wie wäre es gendergerecht?
KATJA: „Du könntest eine Person ansprechen, die direkt am Fenster steht.“
MELISSA: „Genau: ‚Machst Du mal bitte das Fenster auf?‘“
KATJA: „Manche setzen darauf und sagen ‚jemensch’. Aus Überzeugung. Wir machen das nicht. Ich glaube, ich würde selber aufstehen.“

Tatsächlich gibt es diesen Trend. Denn das Generalpronomen „man“ wird zwar nicht wie „Mann“ geschrieben, ist laut feministischer Sprachkritik aber alles andere als inklusiv. Deshalb wird in einigen Strömungen versucht
„man“ durch „mensch“ zu ersetzen. Walter Ulbricht hätte folgerichtig versprochen: „Niemensch
hat die Absicht, eine Mauer zu errichten!“

KATJA: „Das Sternchen ermöglicht es schon, alle zu meinen und lässt Dir die Freiheit, wie Du Dich einordnen willst.“
MELISSA: „Das kann aber auch nur eine Hinführung sein. Zu einer Gesellschaft ohne Herren- und Damentoiletten. Zu einer Gesellschaft ohne Frau und Mann. Zu einer offenen Gesellschaft, in der wir sagen können ‚Liebe alle‘.“

Warum in die Ferne schweifen, wenn die Forschung ist so nah? Um sich mit dem Thema auf dieser Ebene zu beschäftigen, reicht ein Blick in die eigene Hochschule. Franziska Rauchut ist seit 2016 wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Journalismus. Ihr Forschungsschwerpunkt: „Medien-Demokratie-Partizipation“. Im Rahmen dessen erarbeitete sie unter anderem das Postdoc-Forschungsprojekt „Keine Angst vorm bösen Gender – Interventionen in die Antifeminismusdebatte im deutschen Print- und Fernsehjournalismus“. Im Zuge dessen setzte sie sich mit einem antifeministischen Diskurs in den Medien auseinander. Betrachtet wurde unter anderem eine umstrittene Ausgabe der WDR-Talkshow „hart, aber fair“ mit dem Titel „Nieder mit
dem Ampelmännchen – Deutschland im Gleichheitswahn?“.

Sensibilisieren statt Sensibelchen
Letztendlich geht es auch gar nicht darum, alle Menschen direkt anzugreifen, weil ihre Sprache nicht durchgegendert ist. Das unterstreichen auch Katja und Melissa während des Gesprächs. Es geht darum, sich bewusster mit der eigenen Sprache auseinanderzusetzen. Fakt ist: Deutsch ist Sprache der Dichter und Denker, aber noch längst nicht der Dichter*innen und Denker*innen.

Meinungen
„Mich stresst diese geschlechtergerechte Sprache, vor allem beim Schreiben von Texten. Natürlich hat geschlechtergerechte Sprache den Hintergrund der Gleichberechtigung. Aber in meinen Augen kann das auch mit neutralen Formulierungen funktionieren.“
ANJA, 36, Studentin, Magdeburg

„Ich glaube, meine Sprache hat sich eh schon so an mich angepasst, dass ich da nicht mehr viel ändern werde. Was aber nicht heißt, dass diese Entwicklung in der Gesellschaft an mir vorbeigeht.“
IVI, Produktionsarbeiterin, Salzwedel

„Bin ich in Kenntnis über die Geschlechtsidentität meines Gegenübers, ist es eine Frage der Höflichkeit sie/ihn/es so anzusprechen, wie sie/er/es es gern möchte. Das in den allgemeinen Sprachgebrauch einzubinden, ist meiner Meinung nach (noch) nicht zwingend nötig.“
LEON, 22, Tischler, Magdeburg

„Ich glaube, dass wir die gendersensible Sprache brauchen, um die Gesellschaft zu sensibilisieren.“
MELANIE, 37, Studentin und Chefredakteurin „Gemeindeblatt Biederitz“, Biederitz

„Es interessiert mich einen Scheiß, ob da Anwalt oder Anwältin steht, solange Frauen acht Prozent weniger verdienen, bei bestimmten Berufen ungern gesehen und abgelehnt, weiterhin sexualisiert oder zum Objekt gemacht werden.“
NICOLE, 23, Model, Magdeburg

„Finde ich super wichtig. Beim Schreiben achte ich immer darauf, beim Sprechen klappt‘s nicht immer. Das braucht, glaube ich, länger, bis das drin ist.“
SUSANN, 30, Designerin, Braunschweig

„Wenn sich jemand weniger diskriminiert fühlt, weil ich ein bisschen auf meine Sprache achte – geht doch voll klar.“
ALICE, 24, Studentin, Magdeburg

„Ich selbst fühle mich z. B. als Mitarbeiter genauso angesprochen wie als Mitarbeiterin oder Mitarbeitende.“
SARAH, 30, Recruiterin, Magdeburg

„Absolutes Nein. Ich bin Ingenieur. Ich brauche das ‚-in‘ nicht.“
LISA, 35, Ingenieurin für Maschinenbau, Magdeburg

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