Eine Nation auf der faulen Haut?

Stell Dir vor, Du bekommst jeden Monat 1.000 Euro und müsstest nichts dafür tun: Nicht arbeiten, nicht aufstehen, ja sogar anziehen müsstest Du Dich nicht. Die Initiative „Mein Grundeinkommen“ fordert eine unabhängige, finanzielle Sicherung für alle und verlost seit 2014 regelmäßig 1.000 Euro für eine Dauer von zwölf Monaten. Foto: istock
„Das bedingungslose Grundeinkommen vermittelt eine gewisse Grundsicherheit, wodurch die Menschen einen anderen Antrieb entwickeln“, meint BWL-Student Ray Keddi. Er selbst würde weniger arbeiten gehen und das zusätzliche Geld für die Familie sowie Zukunft spläne zurücklegen. Foto: Matthias Piekacz
Der Spalt zwischen Arm und Reich wird immer größer. Das fällt besonders auf, wenn man Vermögen, aber auch Regionen miteinander vergleicht, weiß Prof. Dr. Volker Wiedemer: „Menschen in ländlichen Regionen fühlen sich abgehängt, wodurch Existenzsorgen zunehmen.“ Er versteht den Wunsch einer Grundsicherung, auch weil man sich von Stigmatisierungen wie Hartz IV lösen möchte. Einen vollständigen Paradigmenwechsel hält er dennoch für utopisch. Foto: Matthias Piekacz
Journalismus-Student Simeon Laux ist über seine Schwester auf das bedingungslose Grundeinkommen aufmerksam geworden. Er selbst hält die Anpassung unseres Sozialsystems für längst überfällig. Das Grundeinkommen könne jedoch kein Allheilmittel sein, sondern nur ein Baustein von vielen. Foto: Matthias Piekacz

Aus treffpunkt campus Nr. 104, 04/2019

Was wäre, wenn Du jeden Monat 1.000 Euro mehr auf dem Konto hättest? Geld ganz ohne Gegenleistung, ohne Bedingungen. Würdest Du glücklicher sein, Dich freier, ja unabhängiger fühlen, vielleicht sogar weniger arbeiten oder Dich beruflich neu orientieren?

Text: Katharina Remiorz

Rund 15,5 Millionen Menschen leiden in Deutschland unter einer chronisch knappen Kasse, verfügen also über weniger als 1.096 Euro im Monat. Sozialleistungen wie Hartz IV sind für viele die letzte Lösung, auch weil sie stark stigmatisieren, die Betroffenen an den Rand der Gesellschaft stellen.

Gleiches Geld für alle?

Michael Bohmeyer lebt in Berlin und gründete bereits mit Ende 20 ein erfolgreiches IT-Unternehmen. Eigentlich könnte sich der heute 35-Jährige entspannt zurücklehnen – die Erträge seines Unternehmens sind so hoch, dass er kaum mehr einen Finger krumm machen muss. Doch stattdessen wagte er den Perspektivwechsel: Wie würde es anderen mit einer finanziellen Absicherung gehen? Sagen wir mal in Höhe von 1.000 Euro?

2014 rief Bohmeyer das Crowdfundingprojekt „Mein Grundeinkommen“ ins Leben. Seine Vision: eine bedingungslose Existenzsicherung, die allen Menschen gesellschaftliche Teilhabe ermöglicht und die Freiheit gibt, selbstbestimmt zu leben. Aus einer fixen Idee wurde eine Initiative, die Millionen Menschen antreibt und die Debatte über die Zukunft unseres Sozialsystems landesweit kontrovers befeuert.

Dabei ist dieses Gedankenspiel kein neues. Schon 2005 setzte sich dm-Gründer Götz Werner für die Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens ein. Mit zwei Millionen Euro fördert seine Stiftung seit Mai dieses Jahres sogar eine Professur an der Universität Freiburg, die den Wunsch eines alternativen Sozialsystems wissenschaftlich untersuchen soll.

Bohmeyer war dennoch der Erste, der diese Vision in die Tat umsetzte. In regelmäßigen Abständen verlost sein gemeinnütziger Verein für eine Dauer von einem Jahr ein bedingungsloses Grundeinkommen in Höhe von jeweils 1.000 Euro pro Monat. Das Konzept erhält großen Zuspruch: 114.344 Spenderinnen und Spender, sogenannte Crowdhörnchen, sammeln monatlich fast 490.000 Euro für den Lostopf. In fünf Jahren haben so bereits 156.911 Menschen 410 Grundeinkommen finanziert. Von über einer Million registrierten Nutzerinnen und Nutzern nehmen durchschnittlich 500.000 an den Verlosungen teil.

Schöne neue Arbeitswelt?

Auch Ray Keddi, der in Stendal BWL dual studiert, versucht sein Glück in der Lotterie. Trotz anfänglicher Zweifel unterstützt er das Crowdfundingprojekt mit monatlich zehn Euro: „Ehrlich gesagt konnte ich mir ein bedingungsloses Grundeinkommen zunächst überhaupt nicht vorstellen. Die Umsetzung schien mir ein unglaublich großer Aufwand zu sein.“ Doch die Rückmeldungen früherer Gewinnerinnen und Gewinner sprechen für sich: „Ich glaube, es vermittelt eine gewisse Grundsicherheit, wodurch die Menschen einen anderen Antrieb entwickeln. Sie gehen glücklicher und erfüllter durchs Leben und fühlen sich nicht mehr dem Zwang des Staates ausgesetzt.“

Die breite Masse könne von diesem Projekt, sollte es bundesweit umgesetzt werden, profitieren, ist er sicher. „Unser Arbeitsleben wird sich aufgrund der Digitalisierung in den nächsten Jahren stark verändern. Maschinen werden weite Teile unserer Arbeit, vor allem körperlich schwere, übernehmen, Beratungsleistungen ausführen und Finanzen verwalten. Es wird also irgendwann zu viele Menschen für zu wenige Jobs geben und spätestens dann benötigen wir ein Grundeinkommen“, argumentiert Ray.

Simeon Laux, Journalismus-Student aus Rheinland-Pfalz, hält die Weiterentwicklung unseres Sozialsystems, dessen Grundpfeiler bereits Ende des 19. Jahrhunderts errichtet wurden, für längst überfällig: „Ich finde es gut, dass man nach so langer Zeit darüber spricht und diskutiert, wie sich unser System an die heutige Zeit, an die Digitalisierung, an den Wegfall von traditionellen Berufen anpassen und diesen entgegenkommen könnte.“ Das bedingungslose Grundeinkommen sieht er als wichtigen Schritt zur Armutsbekämpfung und zur Förderung sozialer Teilhabe, jedoch nicht als Allheilmittel: „In diesem Zusammenhang sollte man auch darüber nachdenken, Superreiche stärker zu besteuern und nach einem Modell suchen, bei dem niemand durchs Raster fällt.“

Ohne Druck mehr Leistung?

Weniger Zwänge und Existenzängste, dafür mehr Zeit für die Familie und soziales Engagement: Das sind nur vier von vielen Argumenten, die Befürworter wie Ray und Simeon in die Diskussion um die Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens einbringen. Auch die Chance auf persönliche und berufliche (Selbst-)Verwirklichung spielt eine zentrale Rolle. Fallen Transferleistungen wie Hartz IV oder Wohngeld weg, so wie es sich die „Hardliner“ wünschen, würde sich zudem die bürokratische Sozialverwaltung wesentlich verschlanken.

Dem gegenüber steht eine Vielzahl an Befürchtungen: von Jobs, die niemand mehr machen möchte, einer faulen Nation, die Tag und Nacht in der Hängematte verbringt, bis hin zu zunehmender Migration. „Es kommt darauf an, welcher Studie man glauben möchte“, fasst Prof. Dr. Volker Wiedemer, Professor für Volkswirtschaftslehre, zusammen. „Fraglich ist, ob die Produktivität gewährleistet werden kann, ob weiterhin hart und effizient oder womöglich weniger und nur noch selektiert gearbeitet wird“, gibt er zu bedenken und stellt einen Vergleich zum Studium auf: Brauchen wir wirklich den Klausurendruck, um zu lernen und
gute Leistungen zu vollbringen, oder können wir darauf vertrauen, dass unsere intrinsische Motivation so hoch ist, dass wir selbst daran interessiert sind, uns und das Leben unserer Mitmenschen weiterzuentwickeln und mitzugestalten?

Letztlich könnte unsere Arbeit sogar an Qualität und Wert gewinnen, wenn wir uns nicht nur des Geldes wegen täglich zur Arbeit schleppen. Dass ein bedingungsloses Grundeinkommen zu mehr Kündigungen führen würde, hält Volker Wiedemer für abwegig. „Arbeit ist eine Berufung und vor allem die Zusammenarbeit mit anderen Menschen hat eine hohe integrative Kraft, die nicht selten unterschätzt wird.“

Andere Länder, andere Sitten?

Auch andere Länder diskutieren die Möglichkeit eines bedingungslosen Grundeinkommens. 2016 wagte Finnland das soziale Experiment: Die hohe Zahl an Menschen ohne Beschäftigung, aber auch das komplizierte und unflexible Sozialsystem veranlasste die Regierung dazu, per Zufall 2.000 Arbeitslose im Alter zwischen 25 und 58 Jahren auszuwählen. Zwei Jahre lang mussten diese auf Arbeitslosengeld verzichten, erhielten jedoch im Gegenzug monatlich 560 Euro zur freien Verwertung. „Wir müssen einen Weg finden, der übergroße Einkommensunterschiede in der Bevölkerung verhindert. Außerdem brauchen wir ein vereinfachtes System der sozialen Sicherheit und die Leute müssen ermuntert werden, zu arbeiten oder Unternehmen zu gründen“, hieß es von Seiten des damaligen Wirtschaftsministers Olli Rehn. Anfang 2019 dann die ersten Ergebnisse: Das unabhängige Grundeinkommen fördere zwar das persönliche Wohlbefinden und das Vertrauen in eine bessere Zukunft, der positive Effekt für die Entwicklung des Arbeitsmarktes bliebe jedoch aus.

Ein Grundeinkommen von der Wiege bis zur Bahre: Ist das ein Konzept, das in Deutschland funktionieren, ja bessere Erfolge erzielen würde? Was hat jede einzelne Person davon? Wer profitiert? Wer verliert? Das kommt ganz auf die Umsetzung an, weiß Ray Keddi. „Auch wenn ich mir über die Höhe des Betrags noch nicht sicher bin, befürworte ich das Modell von Robert Carls“, so der Student. Demnach würden alle Volljährigen, die ihren Hauptwohnsitz in Deutschland haben, monatlich 1.100 Euro erhalten. Kinder und Jugendliche bekommen ab der Geburt 500 Euro. Grundsicherungen, Kinder- und Elterngeld sowie der Bundeszuschuss zur Rente entfallen. Menschen mit Behinderung oder chronischer Erkrankung werden besonders berücksichtigt.

„Dieses Modell würde vor allem Kindern, Jugendlichen, aber auch Menschen, die doppelt belastet werden bzw. ein geringes Einkommen haben, zugutekommen. Es gäbe eine Umverteilung von oben nach unten, von Reich zu Arm“, begrüßt Ray. 80 Prozent der Bevölkerung würden Robert Carls Rechnung zufolge von diesem Entwurf profitieren. Die Finanzierung könnte über die Einnahmen der Einkommenssteuer abgesichert werden.

Alles nur ein Gedankenspiel?

Doch was tun mit dem zusätzlichen Geld? „Ich würde es vermutlich dreiteilen. Jeweils ein Drittel würde ich für die Kinder und für schlechtere Zeiten zurücklegen. Ich würde außerdem weniger arbeiten gehen und mit dem restlichen Einkommen den geringeren Lohn kompensieren“, spekuliert Familienvater Ray. Simeon würde einen Teil ebenfalls „auf die hohe Kante legen“, aber auch Geld in ein soziales Projekt und in die eigene persönliche wie berufliche Weiterentwicklung investieren. „Das bedingungslose Grundeinkommen ist gewissermaßen ein Vertrauensvorschuss des Staates, aus dem wir das Beste herausholen sollten“, stellt der angehende Journalist heraus. „Natürlich besteht die Gefahr, dass es nach einer gewissen Zeit seinen Wert verliert. Ich würde aber versuchen, mir immer wieder bewusst zu machen, dass das 1.000 Euro sind, die ich erhalte, ohne eine Gegenleistung zu erbringen.“

Das bedingungslose Grundeinkommen weckt die Hoffnung nach mehr Selbstbestimmung. Volker Wiedemer sieht in ihm dennoch eine Utopie. „Viele Bereiche unseres Transfersystems sind auf dem Bedürfnis- und Leistungsprinzip aufgebaut. Das heißt, Personen, die mehr eingezahlt haben oder besonders bedürftig sind, erhalten mehr Geld“, führt er aus. „Wir reden von einem vollständigen Systemwechsel. Meiner Ansicht nach ist das nicht realistisch, auch wenn ich eine Sympathie für dieses Projekt hege.“ Wenn überhaupt empfehle er eine internationale Debatte: „Überlegenswert wäre, dieses Anliegen innerhalb der EU zu diskutieren, um flächendeckend gleiche Chancen zu schaffen.“

Heute schon an morgen denken?

Fakt ist: Dramatische Veränderungen des Arbeitslebens und das Auseinanderklaffen von Arm und Reich erfordern neue, innovative Konzepte. Ob das bedingungslose Grundeinkommen eines davon sein könnte, lässt sich nur vermuten. Sicher ist es kein Allheilmittel, vor allem nicht für jene, die sich im Grunde mehr Zeit, nicht aber mehr Geld wünschen. Manchmal braucht es jedoch erst einmal eine Vision wie „Mein Grundeinkommen“, um den Stein ins Rollen zu bringen, um unsere Gewohnheiten und Routinen infrage zu stellen und den Blick über den Tellerrand zu wagen. Wer der nächsten Generation den Weg bereiten möchte, muss jetzt damit anfangen.

Mehr Infos zum Thema:

www.mein-grundeinkommen.de
www.grundeinkommen.de

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