Klangrausch zwischen Bett und Sofa

Tiefgründige Texte mit melancholischem Gesang in der Rayon-Schmuckwerkstatt: ein Wohnzimmerkonzert mit Freddie Dickson. Fotos: Matthias Piekacz

Aus treffpunkt campus Nr. 102, 02/2019

Das Konzept „Wohnzimmerkonzert” ist populärer Underground. Obwohl die Veranstaltungsreihe längst eine feste Größe in der Magdeburger Musikszene ist, bleibt ein Hauch von Subkultur. Vor dem Wohnzimmerkonzert mit Freddie Dickson haben sich die Köpfe hinter dem Konzept mit treffpunkt campus unterhalten. Über Musik, Kunst und die Frage danach, was eigentlich ein Kulturbeitrag ist.

Text: Robert Gryczke

Wie läuft normalerweise ein Konzertbesuch ab? Nun, Du holst Dir aus der lokalen Kartenbude für 120 Euro Dein Ticket. Dann organisierst Du eine günstige Mitfahrgelegenheit nach Dresden, Berlin oder Gelsenkirchen. Nachdem Du Dir beim Einlass eine Rippenfraktur und zwei unverschämte Griffe an den Allerwertesten gefallen lässt – „Sorry, ist so eng hier!” – stehst, liegst oder schwebst Du dann auf Deinem Platz, von dem aus Du irgendwas auf der Bühne verfolgst. Glücklicherweise kannst Du wenigstens auf dem Smartphone, das vor Dir über die Köpfe ragt, etwas erkennen.

Zur selben Zeit in Magdeburg ...

In einer kleinen Schmuckwerkstatt in der Leipziger Straße treffen sich Gina Mund und Philipp Kloss, die Köpfe hinter Wohnzimmerkonzerte Magdeburg, mit mir zum Gespräch. Im Zimmer nebenan wuseln unzählige Leute herum und bereiten das Konzert mit Freddie Dickson vor. Sitzkissen werden auf dem Boden verteilt, Technik wird aufgebaut, im Hinterzimmer wird ein Happen gesnackt.

Hinter jeder Tür ein Konzertsaal

Bei Wohnzimmerkonzerten geht es nicht darum, möglichst viele Menschen gegen möglichst hohe Ticketpreise zusammenzupferchen. „Vielleicht kommen 40 Leute. Wenn wir irgendwo draußen sind, können es halt auch mal 120 werden”, gibt Gina an. Man versucht ausgefallene Locations zu finden. Gemütlich müssen sie sein – zumindest die Gastgeber. Und im besten Fall kommt dann diese spezielle Stimmung auf, das Gefühl, als spiele die Band nur für Dich und Deinen Freundeskreis.

Wer sich dazu berufen fühlt, seine Räumlichkeiten bereitzustellen, muss gar keine riesige Location haben, sondern einfach nur Lust auf ein Musikerlebnis in gediegener Atmosphäre. Das Team der Magdeburger Wohnzimmerkonzerte kümmert sich um buchstäblich alles, inklusive eines Infovordrucks für Deine Nachbarschaft. Am Ende findest Du Deine Wohnung, WG, Deinen Garten oder Dein Dach wieder so vor, wie zu Beginn des Abends – vielleicht sogar etwas sauberer. Das hat bisher schon über 80 Mal reibungslos geklappt.

Nächster Halt: Magdeburgs Parks

Vor sechs Jahren, als das erste Wohnzimmerkonzert in Magdeburg stattfand, waren Mindestgage und Sicherheitsbestimmungen noch kein Thema. Anno 2019 hat sich das Projekt aber weiterentwickelt. „Wir wachsen an unseren Aufgaben, aber wir sind halt noch nicht perfekt.” Locations schaue man sich heute ganz anders an, „nach anderen Kriterien als noch vor sechs Jahren”. Wen wundert's?

Damals steckte Gina zum Beispiel noch mitten im Studium. Am Standort Stendal machte sie 2014 den Bachelor of Arts im dualen Studiengang Betriebswirtschaftslehre. Im Anschluss folgte der Master in Strategischer Unternehmensführung an der Hochschule Anhalt. Und für die Arbeit mit Bands und Booking-Agenturen war ihre anschließende Zeit bei Universal Music in Berlin sicherlich Gold wert.

Mittlerweile finden die Konzerte nicht ausschließlich in Wohnzimmern statt, obgleich das familiäre und gemütliche Ambiente bleibt. Neben Magdeburger Wohnzimmern erlebt man dann eben auch ein „Rooftop Concert mit Lea Porcelain”, ein „Yard Concert mit Newman” oder ein „Garden Concert mit LVNG”. Zur Geburtstagsfeier geht's open air in den Glacis-Park in Stadtfeld. Genretechnisch bleiben die Wohnzimmerkonzerte im Bereich Indie und Alternative. Leichtgängige Musik, die die potenzielle Nachbarschaft nicht aufschreckt, wenn sie versehentlich mal eine Note abbekommt.

Die Teilnahme erfolgt über eine Gästeliste, auf die man sich über den Mailverteiler setzen lassen kann. Das hat einen gewissen Hauch von Underground.

Kein Geld der Welt für die Kultur

Manu schleicht sich unauffällig in den Raum, begrüßt Gina und Philipp und drückt sich unauffällig wieder ins Nebenzimmer. Er wird an diesem Abend Fotos machen vom Künstler selbst, vom Publikum, wird die Stimmung einfangen. Das macht er gut und hauptberuflich. Für die Wohnzimmerkonzerte denkt er dabei nicht ans Geld. Er ist einer von knapp dreißig Menschen, die seit nunmehr sechs Jahren mit viel Herzblut die Wohnzimmerkonzerte unterstützen. Manche filmen, manche knipsen, manche betreuen den redaktionellen Auftritt und – ganz wichtig – kümmern sich um einen reibungslosen technischen Ablauf der Konzerte. Ums Geld geht es dabei niemandem, sind sich Philipp und Gina einig: „Es ist ja bei uns auch Hobby. Wir machen das, weil wir Kultur fördern möchten, aber auch weil wir sie selbst genießen.”

Auch wenn Geld in der freien Künstlerszene nicht so das Thema ist, darf man die Frage stellen: „Und was kostet mich der Spaß jetze!?” Erfreulicherweise nichts. Im Anschluss an das Konzert kreist der Hut. Die Gäste entscheiden selbst, wie viel Geld sie hineinwerfen möchten, werfen können, kurz: was ihnen der Abend wert war. Aber der Beitrag „ist ja auch, dass die Gäste da sind. Dass sie der Musik aufmerksam zuhören”, vermerken Gina und Philipp. Auch der Support in den Sozialen Medien gehöre dazu. Der ein oder andere physische Taler ist trotzdem schön und wandert zu 100 Prozent in die Tasche der Bands – oder zumindest deren Booking-Agenturen. Wird die Mindestgage nicht erreicht, zahlt das Team die Differenz aus eigener Tasche – das kam bisher aber noch nicht so häufig vor.

Und sonst so?

2018 hätte es fast schon geklappt. Das Team wurde von der Volksstimme als „Magdeburger des Jahres” nominiert. Für viele Livemusik-Aficionados gehören Wohnzimmerkonzerte schon fest zur Kulturlandschaft der Landeshauptstadt. 2019 finden sich die Musikkombinat Magdeburg GbR und Wohnzimmerkonzerte Magdeburg unter dem neuen „Musikkombinat Magdeburg e. V.” zusammen. Sinnvoll, da das Team sowieso auf beiden Hochzeiten tanzt. Dann wäre es auch möglich, die ein oder andere Förderung zu bekommen. Also, über die Hutkasse hinaus.

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